Nachts um zwei ist wieder was los. Mein Zimmer grenzt an die Küche, und Tag und Nacht haben für Ilse nur noch marginale Bedeutung; häufig kriegt sie nachts um zwei Lust auf, sagen wir mal, eine heiße Milch. Blöderweise steht keine heiße Milch im Kühlschrank, man braucht einen Topf – den alten, verbeulten, blankgescheuerten am besten, in dem wird schon seit Jahren, vielleicht auch Jahrzehnten die Milch heiß gemacht.
Dazu braucht es auch den Herd, ein altes Ding, das noch mit Gas betrieben wird, und der keinen Anzünder hat; man muss ihn mit dem Feuerzeug entflammen. Außerdem ist er widerspenstig, das Feuerzeug muss schon im richtigen Abstand zum Ventil gehalten werden, im richtigen Winkel sowieso, und das ist eben schwierig, wenn die Hände zittern und die Ungeduld wächst.Es dauert nicht lang, bis Ilse das erste Mal ein enerviertes „Du Scheißding“ entfährt, und dann dauert es noch kürzer, bis sie es ein zweites Mal sagt. „Geh endlich an, Du Scheißding!“ An guten Tagen – an guten Nächten vielmehr – bleibt es dabei. Irgendwann klappt das alles schon, und am nächsten Morgen ist dann alles wie immer, bloß mit zwei drei Milchflecken auf dem Herd.
In schlechten Stunden aber ist der erste Fluch nur der Riss im Damm, und es drängt immer mehr Gefühl und Frustration heraus, warum die Scheiße nicht so will, wie sie soll, warum eigentlich alles so gottverdammt schwer geworden ist, was zur Hölle das alles eigentlich noch soll.
Und wenn der Damm erstmal gerissen ist, dann bleibt es auch nicht bei der Scheißigkeit des Herdes, schließlich ist dieser Herd nicht die einzige Zumutung; nein, die Scheißtabletten, die nichts nutzen, fliegen dann in die Ecke, und bald wird ein Fluch zum Himmel geschickt – „Der liebe Gott, ja, wie kann der das machen, man muss ja blöde sein, um an einen Gott zu glauben, der ist ein Schwein, eine Dreckssau…“ Hier hält Ilse kurz inne. „Nein“, sagt sie dann, „Schweine sind nicht so, die Schweine können nichts dafür.“ Aber es ist nur eine kurze Unterbrechung, und es ist im Grunde egal, ob der Herd nicht funktioniert oder der Faden nicht durchs Nadelöhr will oder ein Brief, der wieder viel zu klein gedruckt ist, gekommen ist, obwohl sie eine Postkarte erwartet hat; schuld ist Deutschland, dieses Drecksland, das voller Nazis ist, immer schon war und immer so zivilisiert tut. „Wie kann ein Land sich zivilisiert nennen“, fragt sie, „und ich habe einen solchen Herd? Dieses Drecksland, diese Arschlöcher alle, meinen sie wären sonstwer!“ und mal ganz im Ernst: wer könnte da widersprechen. Ich nicht.