Statt eines Nachrufs

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ilse

Es ist eigentlich nicht Trauer, die ich spüre. Ich bin enttäuscht, das ist es. Enttäuscht vom Leben, und von uns. Von mir.

Wir sind nicht gut auseinandergegangen, und wir haben uns auch nicht versöhnt; das konnte ich nicht. Du hättest es vermutlich gekonnt, allein schon dadurch, weil Du irgendwann vergessen haben wirst, wer ich bin und wer ich war. Das passierte Dir ja sogar schon, als wir noch zusammenlebten; dass Du nicht immer genau wusstest, wer ich bin. Das war nicht schlimm für mich, mir geht’s eh meistens besser inkognito.

Wir haben ein Jahr zusammen gewohnt und zusammen gelebt, die meiste Zeit habe ich ein Auge auf Dich gehabt – wie sexuell das klingt, aber es war nicht sexuell. es war eine Notwendigkeit. du wolltest das auch so. Du wolltest gesehen werden. Schlimmer noch als die Demenz war für Dich, nicht mehr Dich selbst spielen zu können. Du warst noch eine Person, eine Persönlichkeit, aber Du hattest nicht mehr die skills, das auch zu performen. Immer wieder hast Du davon gesprochen, dass Du wieder Abende ausrichten wollen würdest, Lesungen, in denen Du neue Gedichte vortragen wolltest, alle würden sie kommen! All Deine Freund*innen (Du sagtest Freunde). Und es würde schön werden und lustig und dann hast du im Zimmer getanzt: Schau, sagtest Du, was die Bab noch kann! Das hättest Du nicht gedacht! Und ich hätte, wie immer, genickt und gelacht.

Das Jahr, das wir uns kannten, hast Du ununterbrochen gelitten. Du hattest Schmerzen überall, am Rücken, am Arm, an der Seele auch. Du wolltest nicht, dass Dir jemand hilft, einer Bab hilft niemand, was die Bab fühlt, das braucht sie, um daraus Text zu machen, denn es ist ihr Leben und ihr’s allein. Keine Ärztin, kein Professor kann das verstehen; ein Priester könnte es vielleicht, aber denen ist nicht zu trauen. Eigentlich ist niemandem zu trauen außer den Bäumen.

Und so littest Du unter Schmerzen, die behandelbar gewesen wären, aber Du wolltest nicht zu die Ärzten, um’s Verrecken nicht. Wochenlang haben wir darüber gesprochen, bis Du Dir Deine Zähne hast machen lassen, die Dir schon einzeln ins Brötchen krümelten; jene Brötchen, die Du so gerne aßt (ich habe bis heute nicht verstanden, wann Du warum Brötchen sagtest und wann Schrippen). Und dann warst du unzufrieden, weil Du neue Zähne hattest, die aber eingesetzt werden mussten, und das wolltest Du nicht, und dann war die ganze Tortur für die Katz, weil es am Ende nicht ebenso möglich war Brötchen (Schrippen) zu essen wie zuvor. Es ist etwas tragisches in dieser Starrsinnigkeit: sie widersetzt sich dem Tod im Kopf, aber sie beschleunigt ihn am Leib.

War das richtig, Dich so sein zu lassen? Hätte ich strenger sein sollen, präsenter vielleicht? Es ist auch Selbstüberschätzung zu denken, ich hätte einen signifikanten Unterschied machen können. Du warst so wenig darauf vorbereitet, auf Hilfe angewiesen zu sein, dass Du Hilfe gar nicht gebrauchen konntest.

Was aber heißt das nur? Bedeutet es etwas? Diese Vergeblichkeit, die uns alle umweht? Es ist nicht so, dass ich zu Dir gezogen bin aus reinster Nächstenliebe: ich bin kein Held. Ich hatte eigene Interessen, eigene Zwänge. Ich dachte, das könnte zusammenpassen, aber die Dinge passen so selten.

In allen Pflegesituationen gibt es zumindest perspektivisch die Situation: Du oder ich. Und wenn es nicht die eigenen Kinder sind, geht die pflegende Person dann. So ging es auch bei uns auseinander; ich hab noch was zu tun. Das hattest du auch: Du schriebst, so weit ich weiß, und plantest Bücher und kümmertest Dich auch um Deinen Nachlass; Du arbeitetest, und Du hast mich 80 angefangen zu zeichnen, weil Du ohne Stift in der Hand nicht konntest. Bloß nahm irgendwann der Rest überhand: die Schmerzen, die Trauer, die Einsamkeit.

Ich werde ein wenig brauchen, um die Nachrufe über Dich zu lesen, es wird viel um Dich gehen als Intellektuelle, als Dichterin, als Wegbereiterin der deutschen Lyrik. Dabei werden sie besser sein als mein Versuch eines Nachrufs: sie treffen Dich dort, wo Du sein möchtest. Ihr kuckt in die gleiche Richtung; auch wenn du nicht mehr kuckst.

Eine Anekdote, es würde Dir gefallen, dass sie erzählt wird, soll das alles vielleicht doch noch versöhnen: Du hast einmal Gedichte aus dem Russischen nachgedichtet, das waren zwei Monate Arbeit, sagtest Du, und danach solltest Du bezahlt werden, und daraufhin habest Du gesagt: Aber warum, ich hab die ganze Zeit doch gelebt?

Diese Leichtigkeit, die so naiv ist und schön, ist uns allen auf eine Art versprochen worden; aber sie ist nicht die einzige Wahrheit. Deswegen bin ich enttäuscht, und traurig bin ich auch.

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