Manchmal habe ich den Eindruck zu übertreiben. Ich hole Zigaretten und sehe die Leute auf den Restaurant-Terrassen, sie essen und trinken und lachen und reden. Kinder springen um die Tische, jemand klatscht vor Freude in die Hände. Das Leben wäre leichter, denke ich, wenn ich nicht an ihm hinge.
Ich würde gern dazugehören. Es sind noch Plätze frei hier und da, ich könnte fragen, ob ich mich dazusetzen darf. So wie früher, da ging das auch. Dass es jetzt nicht mehr geht, ist meine Entscheidung, das weiß ich. Ein Freund schrieb mir vor einem Jahr, ob die Furcht zu sterben es denn Wert wäre nicht zu leben.
Aber das ist die falsche Formel. Ich lebe, und ich will auch leben. Ich fürchte mich nicht, ich wäge ab. Freilich bin ich traurig darüber, was alles nicht mehr geht, was ich nicht mehr kann; wütend bin ich auch. Es ist der Zorn des Verlustes.
Mein Verschwinden haben Unzählige vor mir bereits vollzogen, auch vor der Pandemie schon: weil sie Kinder bekamen oder alleinerziehend wurden, weil sie aufs Dorf gezogen sind oder ziehen mussten, weil sie arm wurden oder krank. Diese Art des Verschwindens ist nichts Neues, nichts Orignelles, und gerade deswegen wiegt der Vorwurf, eitel genug zu sein um darüber zu schreiben, schwer. Die Penetranz, mit der ich mich nicht verabschieden will, mit der ich den Zwang, den diese meine Entscheidung mindestens begünstigt, beschreibe, die stört. Es nervt viele, das weiß ich. Sie wollen es nicht hören und nennen mich deswegen obsessiv.
Ich bin Fauci fast dankbar, dass er ausgesprochen hat, was ich seit langem schon weiß: dass die Vulnerablen on the wayside verloren gehen werden, und das auch so sein muss. Weil es doch tatsächlich so ist: wir schinden nur Zeit, noch eine Woche und noch eine und vielleicht noch ein Jahr. Unsere Kinder werden in die Schulen gezwungen, wir werden in unsere Jobs gezwungen, es gibt gar keine Alternativen: die Ansteckung ist optionslos. Alle müssen damit leben und wer nicht damit leben kann, muss daran sterben.
Seit Fauci das gesagt hat habe ich nicht mehr die Hoffnung zu übertreiben (ich wünschte nichts sehnlicher, als dass ich übertreiben würde). Was ich tatsächlich betrauere ist aufgegeben worden zu sein. Schaue ich in mein Leben, dann liebe ich die Menschen darin (und finde Frieden in dem, was ich tue); schaue ich in die Welt, stehe ich an meinem Grab.
Also gehe ich nach Hause und setze mich zu niemandem; überhöre die bösen Bemerkungen zur Maske, das Getuschel, die Kinderfragen; vergesse die Abende, die ich haben könnte, und genieße jene, die ich erlebe; und denke so selten wie möglich „noch“.