Ilse hat Schmerzen. Es ist schwer, Schmerzen zu beurteilen, man ist leicht dabei zu sagen: sie sind real oder nicht. Symptom oder Ursache. Oder halt beides.
Ich weiß, dass sie manchmal Symptome vorspielt. Die zitternde Hand zum Beispiel ist eins ihrer Lieblingsstücke. Ihr geht es nicht gut, und dann sagt sie: „Siehst Du, wie meine Hand zittert! Dann ist es immer besonders schlimm.“ Sie schaut auf ihre Hand, keine sieben Sekunden später fängt sie zu zittern an, erstmal ganz grob, als würde man sie hin und herbewegen unter dem Strahl eines Wasserhahns, um zu sehen, wie warm das Wasser tatsächlich ist; später schneller; irgendwann so schnell, dass es von einem Zittern nicht mehr zu unterscheiden ist (anders gesagt: ein Zittern wurde).
Ist auch ehrlich gesagt völlig egal. Ist das jetzt gespielt oder nicht? Spielt sie, Schmerzen zu haben, hat sie sie, hat sie so lange Schmerzen gespielt, bis sie sie hat? Tut ihr Körper weh, weil der Rest nicht funktioniert, ist es andersrum? Was heißt: funktionieren? Was ist der Körper, was der Rest? Welchen Grund sollte man auch haben, so lange Schmerzen vorzuspielen, bis man sie hat?
Was sind das für Fragen? Sie sagt sie will sterben, das sagt sie oft. Ich nicke. Sie sagt: Ich bin kein Mörder. Ich sage: Mörderin. Sie sagt: Auch kein Selbstmörder! Ich sage: Selbstmörderin. Sie sagt: Was? Ich sage: Ich bin auch kein Mörder. Sie sagt: Ein Glück für mich. Ich lache, und wir haben beide Glück, wir mögen uns. Also lachen wir beide.
Freund*innen fragen mich, wie und warum ich sowas aushalte, wie ich das mache; das klänge aber nicht gesund. Aber jede*r weiß, dass diese Schmerzen existieren, dass es all das gibt. Das weiß man doch, das gibt es. Irgendwer kümmert sich schon, irgendwie.
Kann ich das einfach ignorieren? Die, die es nicht können, sollen sich nicht schuldig fühlen. Aber sie sollen auch nicht denken, dass ihr Erfolg sie adelt.Ilse hat Schmerzen, ich auch; warum tue ich das, warum lebe ich so, naja: alles andere wäre sinnlos.