Long Covid Interview

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Allgemein

Ich habe vor 15 Monaten ungefähr einige Interviews mit Longcovid-Betroffenen geführt. Ich habe verschiedentlich versucht, die Texte unterzubringen, hatte damals aber selber nur noch sehr begrenzt Ressourcen und habe deswegen die ganze Geschichte nicht bis zum Ende verfolgen können. Eines der Interviews, das für ein bestimmtes Format vorgesehen war, habe ich damals aber tatsächlich fertiggestellt; es war aber so, dass zu dem Format ein Porträtfoto gehörte, und Alina (Name geändert) nicht die Kraft hatte für ein Shooting. Und ich nicht die Kraft, mich nach Alternativen umzusehen oder das durchzukämpfen. Nun ist es so, dass immer mehr Menschen in meinem Umfeld an Long Covid erkranken, und aber bei Nicht-Betroffenen noch große Wissenslücken herrschen, was das ist, was es macht, wie es aussieht.

Deswegen veröffentliche ich den Text jetzt hier, in der Hoffnung, dass er zumindest ein paar Menschen erreicht.

– Wie geht es Ihnen?

Alina: Jetzt gerade ganz okay, wenn man meinen jetzigen Zustand mit dem vor der Infektion vergleicht natürlich immer noch miserabel, aber es gab schon deutlich schlimmere Tage in den letzten Monaten

– Wie sieht so ein ganz okayer Tag aus? Wie erleben Sie gerade die Tage?

Alina: Ich liege schätzungsweise 98% des Tages. Dabei wechsle ich zwischen Bett und Sofa, um nicht den ganzen Tag allein zu sein. An einem ganz okayen Tag wie heute sind meine Symptome zwar aushaltbar, aber trotzdem deutlich zu spüren. Ich habe zeitweise etwas Energie, um z.B. mehr als ein paar Worte mit Familienmitgliedern zu sprechen, kann Fernsehen gucken oder mit meinem Hund kuscheln. Darüber hinaus passiert allerdings nicht viel mit mir und ich muss mich, wenn die Symptome dann doch mal stärker werden, auch wieder in mein abgedunkeltes Zimmer zurückziehen und Pause machen. Grundsätzlich erlebe ich die Tage meistens wie durch eine dicke Schicht Nebel oder ein beschlagenes Fenster – so richtig anwesend fühle ich mich selten und richtig Erinnerungen an vergangene Tage habe ich auch nicht wirklich. Aber man versucht trotzdem immer, jedem Tag irgendetwas Schönes abzugewinnen. Ich wohne noch bei meinen Eltern – zum Glück. Die Selbstversorgung und so Sachen wie Haushalt oder Einkaufen sind für mich gerade auch gar nicht möglich.

– Wie alt sind Sie?

Alina: Ich bin 19

– Seit wann haben Sie die jetzigen Symptome?

Alina: Einige Symptome, wie die Kopfschmerzen, sind direkt mit der Infektion, also ab dem 25.05.22, aufgetreten, andere kamen erst in den folgenden Wochen dazu.

– Wie verlief die Erkrankung bei Ihnen?

Ich habe ein FSJ auf einer Intensivstation gemacht. Am 25.05. bin ich morgens mit Halsschmerzen aufgestanden. Im Laufe der nächsten Tage kamen dann so typische Grippesymptome dazu, wie Husten, Schnupfen, Kopfschmerzen, extreme Müdigkeit, aber das war es eigentlich auch schon. Mein Verlauf war eher mild-moderat, würde ich sagen. Nicht mal Fieber hatte ich. Und dann sind halt in meinem Umfeld alle, also Mama, Papa, Schwester und Oma, wieder gesund geworden. Außer mir.

Schon während der Infektion ist mein Puls bei kleinster Anstrengung in die Höhe geschossen, was dann auch verstärkte Symptome wie Schwindel, Druck auf der Brust, etc mit sich brachte. Deshalb bin ich dann auch öfter bei meinem Hausarzt gewesen, der mir dann, nachdem er beim 4. Termin auch endlich mal den Puls gemessen hat, einen sehr niedrig dosierten Betablocker verschrieben hat. Genützt hat der natürlich nichts. Man war sich sehr sicher, dass meine derzeitigen verbliebenen Symptome (Kopfschmerzen, Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Husten, Luftnot, hoher Puls) in den nächsten Wochen wieder weggehen würden.
Ich bin dann auch circa einen Monat nach meinem positiven Test mit meiner Familie in den Urlaub gefahren. Zu dem Zeitpunkt dachte ich dann, vielleicht muss ich einfach wieder anfangen mich zu bewegen und die Symptome verschwinden wieder – tja Pustekuchen. Schon die Hinfahrt von 3 1/2 Stunden war für mich extrem anstrengend und meine Symptome verschlimmerten sich, obwohl ich ja eigentlich nichts machen musste, außer sitzen. Trotzdem bin ich die nächsten zwei Wochen relativ konsequent jeden Tag spazieren gegangen. Das war wohl das doofste, was ich hätte machen können, denn in dem Urlaub ist rückblickend auch das erste mal PEM aufgetreten, also eine über Tage andauernde Verschlechterung der Symptome nach Überbelastung. Im Urlaub selbst habe ich auch angefangen selber zu recherchieren, was es mit meinen Symptomen auf sich hatte und ich weiß noch, dass ich bei so gut wie jedem Artikel über Long-Covid dachte, diese Beschreibung passt eins zu eins zu mir und meinen Symptomen. Dabei bin ich dann auch auf die Krankheit POTS gestoßen (eine Dysautonomie, die dafür sorgt, dass der Puls bei aufrechter Haltung, also im Gehen und Sitzen, in die Höhe schießt und Symptome wie unter anderem Druck auf der Brust oder Schwindel auftreten). Diese Vermutung hat dann auch später ein Kardiologe bestätigt.

– Der Urlaub war sozusagen der Grund für die Verschlechterung?

Alina: Ja. Zurück aus dem Urlaub hatte ich deutlich mehr Symptome (obwohl der Urlaub ja eigentlich die ersehnte Genesung bringen sollte): Kopfschmerzen, Schwindel, Fatigue, bleischwere Arme und Beine, Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Brainfog (mit Konzentrationsproblemen, Vergesslichkeit und Wortfindungsproblemen), Husten, leichte Belastungsintoleranz mit PEM, Herzstolpern, Nasennebenhöhlenentzündung, Kurzatmigkeit und Kraftlosigkeit.

Vor dem Urlaub ging es mir zwar schlecht, aber ich konnte Nintendo spielen und lesen, auch spazieren gehen. Das alles konnte ich nach dem Urlaub immer seltener bis gar nicht mehr. Im Juli standen dann auch verschiedene Facharzttermine an. Der Kardiologe war ganz erstaunt, als er mein Zettelchen mit den ganzen Symptomen drauf gesehen hat, weil ich sonst die Hälfte vergessen würde. Und dann hört man immer wieder, von so gut wie jedem Arzt „tja das kommt halt von covid“ – extrem unbefriedigend! Man erfährt nicht, was im Körper vor sich geht, ob es jemals wieder ganz verschwindet, oder was helfen könnte. Der Arzt ist quasi genauso unwissend wie sein Patient. Den Monat habe ich dann mit im Bett liegen und Arztterminen ziemlich schnell rumgekriegt, ohne irgendeine konkrete Therapie oder Diagnostik in der Hand zu haben. Im August hatte ich auch beim Kardiologen ein Belastungs-EKG. Das wurde meinerseits nach 4 Minuten und einem Puls von 174 abgebrochen.

Danach folgte ein Crash, wie ich ihn bis dahin nicht kannte. Ich lag die zwei folgenden Tage im wirklich dunklen Zimmer mit Schlafmaske und teilweise Ohrstöpseln und habe mich höchstens mal akustisch von einer Kinderserie berieseln lassen. Mehr ging nicht. Seit Mitte August führe ich auch ein Symptomtagebuch mittels einer App und seit diesem Tag war ich eigentlich nicht mehr bei dem Symptom-Score, den ich vorher immer hatte. Im August hatte ich auch eine Zusage für einen Studienplatz für Medizin bekommen, für die ich vorher hart gekämpft habe. Im September musste ich dann leider der Realität ins Auge blicken und den Studienplatz absagen. Vom September selber habe ich gar keine konkreten Erinnerungen, die Arzttermine waren größtenteils gelaufen und ich habe mich auf das Ausruhen konzentriert. Meine Symptome sind aber seit Beginn meiner Infektion kontinuierlich schlechter geworden. Heutige Symptome sind: Fatigue, Kopfschmerzen, die eigentlich immer da sind, Gelenk- und Muskelschmerzen, Nervenschmerzen, die sich wie Messer- oder Nadelstiche anfühlen, eine Nasennebenhöhlenentzündung und Schnupfen, Brain-fog, Schwindel, Gangunsicherheit, Gleichgewichtsprobleme, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit (mittlerweile trage ich auch in der Wohnung eine Sonnenbrille und trage teilweise dämpfende Ohrstöpsel), Restless-legs, Herzstolpern, Ein- und Durchschlafprobleme, der Schlaf ist nicht erholsam, Grippegefühl, vermehrt Gänsehaut und Schauer, kalte & taube Hände und Füße, Husten, Muskelzucken am ganzen Körper, Muskelschwäche (in extremen Momenten ist es schwer eine Flasche Wasser zu halten, oder ins Bad zu gehen), schwere Arme und Beine, Schwitzen, Tinnitus, Unterzuckerung, Zittern, Appetitlosigkeit, Haarausfall, starke Belastungsintoleranz, PEM und POTS.

– Wie gehen Sie jetzt Ihr Leben an? Was hat sich verändert angesichts ihrer Pläne und Träume?

Alina: In so einer Sitaution traut man sich fast gar nicht, noch konkrete Pläne zu schmieden. Ich würde mich selbst als sehr realistisch veranlagt beschreiben, und in der Realität weiß natürlich keiner, ob sich meine Situation überhaupt bessert. Aber meinen großen Traum, Ärztin zu werden, möchte und kann ich aktuell nicht aufgeben.

– Ich glaube, alle, die schon einmal in Ihrer Situation waren, würden sich Ärzt*innen wünschen, die nachvollziehen können, was es bedeutet, in dieser Situation zu sein.

Alina: Ja das stimmt und leider haben die wenigsten das Privileg, tatsächlich so einen Arzt/so eine Ärztin zu finden

– Was bedeutet für Sie „gesund sein“ heute?

Alina: ich glaube gesund sein bedeutet mittlerweile für mich, das Leben ohne nennenswerte Einschränkungen genießen zu können. Wenn man nicht vorher 10 mal darüber nachdenken muss, ob der Spaziergang oder das Gespräch oder der Urlaub den gesundheitlichen Zustand weiter verschlechtern.

– Wie hat ihr soziales Umfeld auf Ihre Situation reagiert?

Alina: Ich habe nur noch mit wenigen Kontakt, und das auch nur sehr sporadisch, da das teilweise sehr energie-fressend ist. Es hat gedauert, bis sie sozusagen das Ausmaß der Situation verstanden haben. Kann ich auch voll verstehen, ich glaube so eine Situation ist immer schwer nachzuvollziehen wenn man es nicht direkt mitbekommt und mir wäre es genauso gegangen. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl sie verstehen mich gut.

– Sie haben ja jetzt wahrscheinlich einige Ärzt*innen kennengelernt. Wie haben Sie die so wahrgenommen?

Alina: Oft sehr ratlos. Mein Neurologe wollte mir verklickern, dass ich mir alles einbilde, ohne überhaupt meine Symptome gehört zu haben. Es ist halt super schwierig, auch für die Ärzte, dass man noch so wenig über die Erkrankung weiß.

– Margarete Stokowski sagte ja sinngemäß, sie sei krank, aber ihr gehe es nicht schlecht. Ist das ein Satz, mit dem Sie mitgehen könnten?

Alina: Hmm, schwierig. Ich sag mal so: es gibt Momente, in denen es mir schlecht geht, es gibt aber auch Momente in denen es mir gut geht, obwohl ich krank bin. Also nur gesundheitlich betrachtet geht es mir natürlich schlecht, aber schlimmer geht immer. Um da mal meine Oma zu zitieren: Auch die beste Krankheit taugt nix. Und ich habe meine tolle Familie und meinen Hund an meiner Seite, die auch dafür sorgen, dass es mir so gut geht, wie es geht.

– Verfolgen Sie die Debatten über Long/Postcovid in den Medien?

Alina: Ja. Ich lese im Moment immer mehr Aussagen, dass Betroffene einfach keine Lust haben zu arbeiten, dass man sich alles einbildet, dass man einfach mal Sport treiben sollte, dass sie ja auch müde sind, obwohl sie gar kein Corona hatten, etc. Das macht mich wirklich immer extrem sauer. Meist hört man auch sowas wie: „Ich hatte auch Corona, und mehr als eine Grippe war das nicht“ und das freut mich ja auch wirklich, wenn Menschen so schnell wieder gesund werden, aber es kann eben auch jedem passieren, dass es nicht bei einer Grippe bleibt. Da fehlt mir einfach das Verständnis der Gesellschaft. Mir ist auch erst durch die Erkrankung so richtig klar geworden, wie sehr unsere Gesellschaft auf Leistung gepolt ist.

– Hilft die Vernetzung mit anderen Betroffenen? Hat das auch was belastendes?

Alina: Mir hilft das extrem. Ich bin ja in der Facebook-Gruppe von Long Covid Deutschland und was da bei den 7000 Mitgliedern an Wissen zusammenkommt, ist echt enorm. Da die Ärzte sehr oft ratlos sind, müssen Betroffene sich selbst einlesen und informieren, was ihnen eventuell helfen könnte. Dafür ist so eine Gruppe natürlich Gold wert. Aber auch emotional hilft es mir sehr, zu sehen, dass ich nicht alleine bin und es Menschen genauso geht wie mir
Was belastendes hat es manchmal, wenn man von Leuten liest, die wieder ihr normales Leben führen können. Natürlich freut man sich von ganzem Herzen für diese Personen und natürlich gibt es Momente, in denen einem solche Beiträge Mut machen und Hoffnung schenken, aber es gibt eben auch Momente, wo so etwas eher belastet, wenn es 4 Monate lang bei einem selbst einfach nur bergab geht.

– Was würden Sie sich wünschen, von der Medizin, von der Politik, und von der Gesellschaft?

Alina: Es braucht dringend mehr Gelder für die Forschung. Es gibt hoffnungsvolle Medikamente, die aber einfach noch nicht zum Einsatz kommen, wegen der Bürokratie und wegen fehlendem Geld für Studien. Außerdem brauchen wir viel mehr Anlaufstellen. Die Post-Covid-Ambulanzen, die es momentan gibt, reichen bei weitem nicht aus, um flächendeckend alle Betroffenen versorgen zu können. Von den Ärzten wünsche ich mir, dass sie sich mehr mit der Erkrankung auseinandersetzen und an Fortbildungen teilnehmen. Es kann nicht sein, dass Betroffene teilweise mehr über ihre Erkrankung wissen, als ihre Ärzte. Von der Gesellschaft wünsche ich mir mehr Empathie.

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