1 2 Polizei oder Warum ich keinen Führerschein habe

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dorfjugend

Dass ich schlussendlich doch nicht den Führerschein gemacht habe: dafür mache ich die Erfinder*innen von Übergangsjacken verantwortlich.

Ich besaß zu jener Zeit, also mit 17, drei Jacken: eine für den Winter, eine für Regen und eine aus Stoff. Letztere war hellbeige, fast weiß, und vor allem hatte sie acht Taschen. Ich nutzte sie fast nie, auch weil es mir wie ein unnötiger Luxus vorkam: bis heute weiß ich nicht, warum man überhaupt mehr als zwei Jacken braucht.

Es war damals üblich, als Jugendliche*r zu kiffen; ich glaube, das ist immer noch so. Drogen spielen auf dem Land eine viel größere Rolle als in der Stadt, scheint mir; möglicherweise liege ich auch falsch, es ist reine Privatempirie. Im Allgäu war ein größerer Drogenumschlagplatz, da kam das Zeug aus der Schweiz und wurde nach Stuttgart weiterverteilt. In der Kreisstadt mit ihren paarundzwanzigtausend Einwohner*innen gab es im Jahr mindestens eine*n Herointoten.

Gras gab es überall. Wer mit 16 noch keines probiert hatte, lebte eine langweilige Heidi-Kindheit; alle, die nach mehr hungerte, kifften mindestens regelmäßig. Ich nicht: ich vertrug es nicht. Bei mir machte direkt der Kreislauf dicht. Mir wurde (und wird noch heute) sofort schummrig und ich liege in der Ecke und kotze. Außerdem bekam ich damals sofort Halluzinationen, sobald jemand auch nur „Schwarzer Afghane“ sagte, und hatte Angst, im Wahn mal aus einem Fenster zu springen und mir dabei beide Beine zu brechen oder sowas.

Also ließ ich die Finger vom Kiffen. Aber probiert hatte ich doch, natürlich hatte ich auch aus alten Vasen Bongs gebaut und mir den ein oder anderen Brocken Shit gekauft, es aber irgendwann einfach drangegeben, ganz ohne Schmerzen.

An jenem Abend, der mich den Führerschein kostete, kam ich von einer Kifferrunde zurück. Ich hatte nichts geraucht (ich glaube, wir sagten so Dinge wie „einen durchgezogen“ oder sowas), nur Bier getrunken. Ich war 17 Jahre alt und wir hatten bei einem Freund zusammengesessen, der das Dachgeschoss seines Elternhauses alleine bewohnte. Es war spät geworden, vielleicht so gegen elf oder zwölf, und das hieß für mich: … Ich weiß nicht, wie man das heute nennt. Wir sagten damals „stoppen“. Noch früher soll man „trampen“ gesagt haben. Per Anhalter fahren. Ich weiß gar nicht, ob man das heute noch macht.

Das Dorf, in dem ich wohnte, lag 15 Kilometer entfernt von der Kleinstadt. Um diese Uhrzeit fuhr alle zehn Minuten ein Auto in ungefähr die Richtung, die ich brauchte. Es gab drei Möglichkeiten: entweder sie fuhren in das Dorf vor meinem, dann hatte ich noch 3 Kilometer zu gehen; oder sie fuhren in das Dorf daneben, dann hatte ich einen Kilometer zu gehen; oder sie fuhren direkt in die nächste Stadt, dann lag mein Dorf mitten auf dem Weg.An diesem Abend hatte ich Tor eins gezogen, aber es war mir egal; es waren erstaunlich wenige Autos vorbeigefahren, und als dann eines hielt, wäre ich sogar Richtung München mitgefahren, weil es fing an kalt zu werden, und ich Vogel hatte natürlich in einem Anflug von Gedankenlosigkeit die verfickte Übergangsjacke angezogen, weil man die halt auch mal tragen muss. Was sprach gegen die Winterjacke, verdammt nochmal? Wenn es zu warm ist, zieht man halt vorne den Reißverschluß auf, fertig.

Der Typ fuhr mich jedenfalls bis zu seinem Dorf und ließ mich raus. Ich hatte die Wahl, einfach stumpf draufloszulaufen und die drei Kilometer abzureißen; unglücklicherweise waren das auch nochmal 80 Höhenmeter, das Allgäu kennt keine Gnade. Oder eben hin und wieder den Daumen rauszuhalten, wenn in meinem Rücken Scheinwerfer aufleuchteten.

Ich entschied mich für zweiteres, und kaum dass ich hundert Meter gelaufen war, kam auch schon das erste Auto. Erfreulicherweise hielt es auch direkt, aber ich freute mich nur sehr kurz, weil: waren Bullen. Aber ich hatte ja nichts falsch gemacht, also war ich einigermaßen entspannt, vor allem aber pöbelbereit; von früheren Begegnungen wusste ich, dass die Bullen zwar gerne anlasslos Jugendliche filzten oder ihnen auch mal einen Knuff in die Seite gaben, aber gestrandete Schüler*innen nach Hause fahren, das ging natürlich nicht wegen Versicherung (und weil es faschistische Arschlöcher waren).

Die Autotür ging auf, heraus kam ein Typ, der mir direkt ins Gesicht leuchtete und ohne Begrüßung sagte: Ausweispapiere bitte.

Wer bist Du denn, sagte ich, Betonung auf Du.

Der Typ drehte sich zum Auto hin, wo sich gerade die Beifahrertür öffnete, und sagte: „Hon I doch gsait, dass der Ärger mache würd.“

Aus dem Auto kam schnaufend ein älterer Kollege des ersten und sagte: „Muss des sei.“ Bis heute ist mir unklar, ob er den Satz an mich, seinen Kollegen oder insgesamt ans Universum richtete.

Ich fragte, warum sie keine Mützen trugen, Schaffner würden ihre im Dienst ja auch immer aufhaben. Da hatte mich der Typ direkt im Schwitzkasten, seliges Baden-Württemberg, wo man Nazis zu demokratischen Ministerpräsidenten macht und Schüler schikaniert.

Ich war eigentlich guter Dinge, weil ich mir keiner Schuld bewusst war. Hätte ich bloß nicht diese beschissene Übergangsjacke angehabt, die ich das letzte Mal angehabt hatte, als ich zuletzt – das mochte sechs Monate hergewesen sein – einmal gekifft hatte. Und tatsächlich, diese Wichser fanden tatsächlich noch den letzten Brocken Shit, ich weiß gar nicht, ob man das heute noch so nennt, in einer der achtundfünfzig Taschen. „Haha!“ rief triumphierend der Fahrer. „Hommers!“

Ich war einigermaßen konsterniert, weil am nächsten Tag stand eine Lateinklausur an und mir schwante schon, dass das noch ein langer Abend werden würde. Und ich war eh nicht gut in Latein, ich hätte da ausgeschlafen aufschlagen sollen; stattdessen hieß es nun: „Befragung auf dem Polizeirevier“.

Wenn Allgäuer versuchen hochdeutsch zu reden, obwohl sie es nicht können, ist das von einer grandiosen Komik, gerade bei Polizist*innen: immer wollen sie ein bisschen mehr sein, als sie tatsächlich sind, und gerade dadurch outen sie sich als Witzfiguren. „Béfrágung áúf dem Pólizéirévier“. Ich hatte meinen Mut wiedergefunden und sagte ihm: „Sie müssen nicht jede Silbe betonen, das machen nur Papageien.“ Fand er nicht lustig, ich aber schon. Sie packen mich auf den Rücksitz ihres Autos und nicht geholfen hat, dass die Rückbank durch ein Gitter vom Fahrerraum getrennt war, weswegen ich während der Fahrt immer wieder mal schrie: „Polly will Cracker!“

„Halt die Fresse“, sagte der Typ, da sagte ich: „Von Ihnen will ich gesiezt werden.“ Ich war einfach nicht sehr schlau damals. Ich bin auch heute noch nicht sehr schlau. Aber es war das erste Mal, dass mich wer siezte.

Im Revier angekommen sperrten sie mich, während sie die Beweise aufnahmen, eine Stunde in einen Glaskasten, in dem nichts stand als ein Ficus in einer Ecke. Das Bier trieb so langsam, und ich musste unbedingt pissen, und ich klopfte an die Scheibe des Glaskastens, aber niemand kam, und wenn jemand kam, dann lief er*sie einfach vorbei. Erst als ich anfing in den Ficus zu pissen, standen plötzlich alle an der Tür, diese blöden Arschlöcher.

Es folgte eine Befragung, an die ich mich kaum erinnere, ich weiß nur nach, dass ich zwischendruch gefragt habe, ob ich nicht das Recht auf einen Anwalt hätte. „Haben Sie denn einen?“, fragte der Fahrerbulle, und ich fragte: „Haben Sie denn keinen?“

Hatten sie nicht. Nachts um vier hatten sie dann genug und beschlossen, mich nach Hause fahren. Dieses beschissene Arschgesicht hatte den grandiosen Einfall, einmal mit eingeschaltetem Blaulicht quer durchs ganze Dorf zu fahren, damit auch alle mitkriegen, wer da nachts von der Polizei nach Hause gebracht wird. Dann klingelten sie meine Eltern raus und freuten sich schon. Mein Vater machte die Tür auf.„Guten Morgen“, sagte diese Arschmade von einem Polizisten“, „wir haben hier…“„Komm rein“, sagte mein Vater zu mir.Ich ging rein und zog mich in mein Zimmer zurück. Mein Vater muss noch ein paar Minuten mit dem Typen diskutiert haben, der zu seinem Unmut nicht das Haus betreten durfte, und der auch keine Erklärung dafür hatte, warum er einen Schüler bis nachts um halb fünf festgehalten hatte. „Wegen 0,5 Gramm ‚Haschisch’“ klingt halt auch einigermaßen lächerlich.

Fand auch die Staatsanwaltschaft und hat das Verfahren eingestellt. Blöderweise galt damals noch ein Gesetz, das besagte, dass wer mit BTM gefasst wird, seinen Führerschein nicht ohne MPU machen darf. Zwei Jahre später erst wurde diese Rechtsprechung von Karlsruhe kassiert. Zu spät für mich, da waren meine Fahrstunden schon alle verfallen; die MPU hätte nochmal so viel gekostet wie der Führerschein, das Geld hatte ich nicht. Immerhin hatte die Dienstaufsichtsbeschwerde meiner Eltern Erfolg und der Bulle ist jahrelang nicht befördert worden. Immerhin das.

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