Baseballschlägerjahre

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dorfjugend

An die deutsche Einheit habe ich eine Niere verloren. Das war die kurze Version. Jetzt die lange.

Ich bin ein Dorfkind, deswegen habe ich viel Zeit meiner Jugend in Vereinen verbracht. Auch und gerade in Fußballvereinen. Ich war ein Frickler, ein Dribbler, einer, der den Gegner dreimal tunneln konnte, aber so langsam gleichzeitig, dass der Gegner jedesmal die Zeit hatte, nach dem Tunnel wieder zurückzukommen, bevor ich den entscheidenden Pass spielen konnte. Meine Trainer wussten nie, wo sie mich einsetzen sollten, ich habe jede Position schonmal gespielt. Richtig gut war ich eigentlich nur in der Halle. Es lag sicher nicht an mir, dass wir damals aufgestiegen sind, einen Sommer nach der Grenzöffnung.

Zum Saisonabschluß spielten wir ein Kleinfeldturnier, danach sollte so eine Art Party in der örtlichen Turnhalle stattfinden. Man nannte das einszweidrei Mark-Fest damals, je nachdem, ob das Bier ein, zwei oder drei Mark kostete. Kleinfeld war super für mich, ich hatte immer ein Gefühl dafür, wo das Tor steht, ich war sehr gut an dem Tag. Abends hoben wir uns einen rein, Dorf halt, was will man machen.

Irgendwann ging ich vor die Tür, um mal ein bisschen frische Luft zu schnappen, da saß eine junge Frau und weinte. Ich fragte sie, was los sei. „Hau ab“, sagte sie und schluchzte. Ich fragte, ob alles okay sei. „Jetzt hau ab“, sagte sie. Okay, sagte ich. Tut mir leid. Dann ging ich einen Kiesweg entlang, ich glaube, ich musste pinkeln, und hörte hinter mir plötzlich Knirschen.Ich drehte mich um: Fünf Typen, Springerstiefel, Bomberjacke, kahle Schädel standen vor mir. „Hast Du gerade meine Freundin angemacht?“ schrie, kaum dass ich sie gesehen hatte, der kleinste.„Nein“, sagte ich, „sie hat geweint.“

Sie kamen auf mich zu, ich lief nicht weg (ich kannte das nicht, bis Anfang der 90er saßen Nazis in BaWü ausschließlich inder Regierung und im Lions Club); ich hob beschwichtigend die Hände, und sagte „Hey“. Einer schlug mir ansatzlos aufs Maul, und als ich wieder hochkam, sprühte mir ein anderer irgendwas ins Gesicht, das ich später als Pfefferspray identifizieren sollte. Dann nochmal aufs Maul. Diesmal blieb ich unten.

Es gab damals die sogenannten Klatschfahrten, das habe ich erst später erfahren: Nazis aus dem Osten, die in einer Karre auf Dorffeste in den Süden fuhren, um da mal „ein Wochenende Spaß zu haben“, also rumzuprügeln.Ich weiß nicht, wie oft sie mich getreten haben, aber sie haben gut getroffen. Man fand mich erst am nächsten Tag. Im Krankenhaus ergab die Untersuchung: Hämatome an 30 Stellen, gebrochene Rippe, gebrochenes Jochbein, Nierenfunktion rechts bei 10 Prozent.

Ich habe acht Wochen Blut gepisst und musste wöchentlich 200 Kilometer in die nächstgelegene Uniklinik zur Untersuchung. Immer Freitags, wenn der Tanzkurs war. Wegen Nazis kann ich keinen Chachacha.

Die Niere hat sich seither fast erholt, neulich hatte ich wieder Routineuntersuchung: Leistung bei 80 Prozent.

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